aspekt_08_2024_DS

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08/2024

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KOLUMNE

Sehr wohl wird allerdings begrifen,

dass damit die Anstrengung verbunden

wäre, mehr Interesse an dem vermittel-

ten Schulstof zu zeigen, ja unter Um-

ständen sogar noch eigenen Aktivitäten

zu entfalten. Damit setzt automatisch

der für diese Fälle bei einer gewissen

Gruppe von Schülern vorhandene Ab-

wehrmechanismus ein, und der gut

gemeinte Ratschlag wird auf den da-

für vorgesehen Müllhaufen der Alten-

weisheiten verbannt. Das büfeln von

Vokabeln und Grammatik für Fremd-

sprachen ist dabei nicht ausgenommen,

obwohl es mitunter recht unmittelbar

der Verbesserung des Einkommens

dienen kann.

Dieser Zusammenhang wurde mir

kürzlich schlagartig klar, als ich auf

dem Flughafen meinen Kofer in Rich-

tung des Bushaltepunktes wuchtete.

Da saß direkt am Flughafenausgang

ein junger Mann mit einer Gitarre auf

dem Boden, hatte vor sich einen alten

Schlapphut liegen und sprach die eilen-

den Fluggäste an. Als ich mich ihm weit

genug genähert hatte, sah er mich mit

klugen, hellblauen Augen an und fragte,

ob ich denn für ihn nicht zwanzig oder

dreißig Cent hätte. Er sprach akzentfrei

Hochdeutsch, lächelte freundlich auf-

munternd und streckte mir die nach

oben geöfnete, empfangsbereite Hand

entgegen.

Ich kramte unbeholfen in meinen

Taschen nach Münzen, denn solche

Fragen verunsichern mich, hinterlas-

sen immer den Anfug eines schlechten

Gewissens, dass ich weder mir noch an-

deren erklären kann. Gibt man zu viel

oder zu wenig? Ist es überhaupt richtig,

zu reagieren oder müsste man eigent-

lich nicht selbst dort sitzen?

Doch noch ehe die Diskussion mei-

ner Selbstzweifel mit mir beendet war,

hörte ich aus seinem Munde in füssi-

gem Englisch die Frage „Do You have

got twenty or thirty Cents for me?“

Das hatte ich noch nicht erlebt, auf

diese Weise zweisprachig für das per-

sönliche Einkommen zu sorgen. Und

während die Verblüfung noch wirk-

te, klang es bereits „Avez-vous dix ou

vingt cents pour moi?“

Abgesehen davon, dass sich der Preis

im Französischen plötzlich verringert

hatte, ließ ich nun enorm beeindruckt

einen ganzen Euro in den alten Hut

wandern. Der junge Mann nickte, als

ob er das erwartet hätte, und bedankte

sich wiederum dreisprachig.

Hier wurde mir mit ganz einfachen

Mitteln klar gemacht, dass wir trotz al-

ler gegenwärtigen Schwierigkeiten in

Europa angekommen sind. Not macht

ofenbar nicht nur erfnderisch, son-

dern fördert auch Sprachbegabungen.

Noch hat sich das nicht auf die griechi-

sche und spanische Bitte um ein paar

Cents ausgedehnt, aber das dürfe nur

eine Frage der Zeit sein.

Wie schwierig wäre es noch vor etli-

chen Jahren gewesen, mit unterschied-

lichen Währungen im Hut zu hantieren.

Die Briten haben das zwar noch nicht

begrifen, aber immerhin, Cents gibt es

dort auch.

Wie dem auch sei: Der junge Mann

am Flughafen hat bewiesen, dass sich

Bildung und Sprachkenntnisse in ba-

rer Münze auszahlen. Ob seine Eltern

den Satz vom Lernen und „einmal was

werden“, falls sie ihn einst gesagt haben,

auch so gemeint hatten, würde mich

schon interessieren. Aber zum Umkeh-

ren war es zu spät, weil der Bus schon

anruckte. Schade, c’est la vie.

C’est la vie

Der Zusammenhang zwischen Bildung und späterem finanziellen Auskommen der Kinder wird

von um den Nachwuchs besorgten Eltern mit dem oft gehörten Sätzen verdeutlicht: „Lerne fleißig,

damit aus Dir mal was wird. Schließlich soll es Dir einmal besser gehen, als uns.“ Meist bleibt

denen, an die die mahnenden Worte gerichtet sind, der Sinn difus. Was heißt eigentlich „was

werden“? Und was ist man dann, ein besserer Mensch?

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