04/2024
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KOLUMNE
Es ist schon erstaunlich, was man
so alles studieren kann. In Großbri-
tannien, an einer renommierten Uni-
versität, deren Namen ich zufällig
vergessen habe, gibt es das Studien-
fach Zufall. Hätte ich dort den Vorle-
sungen aufmerksam gelauscht, dann
wüsste ich vermutlich heute noch, wie
diese Lehranstalt in dem historischen
Gemäuer hieß oder heißt.
Aber ich habe dort nicht studiert,
sondern lediglich darüber gelesen. Und
dabei ist mir zufällig der Kernsatz des
Professors auf dem beiliegenden Foto,
auf dem er wie in einem historischen
Film aussieht, eingefallen. An dieses
Credo von ihm kann ich mich zufällig
erinnern. Es lautete sinngemäß, dass
es eigentlich gar keine Zufälle gebe,
sondern lediglich die fehlende Er-
kenntnis der Mechanismen, wie es zu
angeblichen Zufällen kommt.
Über diesen Satz habe ich lange nach-
gedacht und glaube inzwischen, ihn
vielleicht auch verstanden zu haben.
Mit anderen Worten, so vermute ich,
meint er: Es geschieht, was geschieht.
Wir haben keinen Einfuss darauf, was
geschieht. Und hätten wir einen Ein-
fuss darauf, dann wüssten wir, warum
geschieht, was gerade geschieht. Da-
mit hätten wir den Mechanismus des
Geschehens erkannt, und es wäre kein
Zufall mehr. Fazit: Zufälle gibt es nicht,
sondern nur Unkenntnis.
Da kann ich ohne Bedenken zu-
stimmen, denn Unkenntnis auf allen
möglichen Gebieten, die begegnet uns
allerorten. Mal trägt sie das relativ har-
mose Kleid des Nichtwissens, mal den
schwarzen Anzug der Dummheit. Und
die ist laut Albert Einstein im Gegen-
satz zum Universum unendlich. Aber
das ist ein anderes Tema.
Der
Professor
untermauerte
sei-
ne Tese dann auch gleich mit einem
Beispiel. Angeblich sei der chaotische
Prozess der Atomkernspaltung, wenn
einmal ausgelöst, völlig zufällig. Also,
es sei nicht exakt vorhersehbar, welcher
schwere Atomkern in zwei kleinere
Atomkerne zerlegt und welche Neut-
ronen wie Energie freisetzen würden.
Das leuchtet ein. Und da man das nicht
genau weiß, ist es viel besser die Finger
davon zu lassen, meint der Zufallspro-
fessor.
Außerdem geht er davon aus, dass
alle großen Entdeckungen von Wissen-
schaflern Zufall seien, weil sie vor der
Entdeckung ja noch nicht wüßten, wie
das funktioniert, was sie dann entdeck-
ten. Logisch, oder?
Aber es wird noch schlimmer: Weil
dieser Professor rein zufällig zum Te-
ma Zufall forscht, also zu etwas, was es
nur gibt, weil man nicht weiß, was es
genau ist, besteht sein Forschungsge-
genstand Zufall auch nur aus Unkennt-
nis. Mit anderen Worten weiß er gar
nicht, was er tut, und warum er es tut.
Spätestens an dieser Stelle sind die
meisten aus dem Tema raus. Und zwar
nicht zufällig, sondern weil sie genau
wissen, dass ihnen der Schädel brummt.
Um das zu beenden, kann man das
Gesagte in einem Satz zusammenfas-
sen. Zufälle gibt es nicht, sondern nur
Nichtwissen. Da fragt man sich nur,
woher das alles der Professor weiß?
Vermutlich reiner Zufall.
Es geschieht, was geschieht