05/2024
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KOLUMNE
Wie anders ist die Faszination des Verbrechens zu erklären,
das seit Jahrhunderten in Büchern und in jüngerer Zeit zu-
sätzlich allabendlich auf dem Fernsehschirm das Publikum
in den Bann schlägt. Der Krimi ist nicht umzubringen. Er
liegt nach wie vor in der Gunst ganz vorn, weshalb das Fern-
sehen, ob nun öf entlich-rechtlich oder privat, dem Morden
und Metzeln mindestens so viel Sendezeit einräumt, wie
den unzähligen Talk-Shows oder Florian Silbereisen. Tote
bringen noch mehr Quote.
Wohlgemerkt Tote. Jegliche andere Form der Kriminalität –
und da gibt es noch einiges – scheint den Zuschauer bei wei-
tem nicht so zu interessieren. Woher kommt diese Sehnsucht
nach Mord und Totschlag? Oder ist das vielleicht nur das An-
sinnen der Fernsehmacher? Warum hat ein Heiratsschwindler
oder ein Geldfälscher nicht ebenso ein Recht auf mediale Auf-
merksamkeit?
Man braucht gar keine wissenschaf liche Untersuchung, um
festzustellen, daß es seit Jahren in den Fernsehkrimis aus-
schließlich um Leichen in jeder Form geht. Trotzdem haben
sich Leute hingesetzt und gezählt. Wie viele Krimis zeigt allein
das öf entlich-rechtliche Fernsehen in einer Woche, wie viele
Tote kommen darin vor?
Das Ergebnis ist, von kleineren Schwankungen abgesehen,
recht stabil. Selbst an traditionellen Feiertagen der Nächsten-
liebe wird virtuell gemordet, was der Bildschirm hergibt. Und
so kommt man auf die stattliche wöchentliche Zahl von etwa
70 gewaltsam aus dem Leben beförderten Personen. Nicht be-
rücksichtigt ist dabei, daß in den Kinos zwischen Pop Corn
und Cola das Leinwand-Blut ebenfalls in Strömen f ießt. Und
wem das alles nicht reicht, der kann beim Streamen oder in
einer Mediathek das alles wiederholen.
Bleibt man beim „Bildungsfernsehen“, dann sind das knapp
300 Fernsehleichen im Monat und so grob über den Daumen
in zehn Jahren dreieinhalb Tausend, die das Zeitliche unfrei-
willig gesegnet haben.
Ein Junge von zehn Jahren, regelmäßigen Fernsehkonsum vo-
rausgesetzt, hat als junger Mann von 20 Jahren bereits mit-
erlebt, wie die Bevölkerung einer Kleinstadt brutal aus dem
Leben gebracht wurde. Geht er dann auch noch öf er ins
Kino, oder hat er gar ein passendes Computerspiel, dann wird
schnell eine Großstadt daraus. Und da soll einem nicht angst
und bange werden?
Man stelle sich nur einmal vor, ein vernunf begabtes Wesen
will die Erde besuchen und versucht, sich vorab ein Bild von
den Menschen über die leicht zu empfangenden Fernsehpro-
gramme zu machen. Es würde vermutlich das Grausen packen.
Vielleicht hat uns deshalb noch keines besucht. Und dabei ha-
ben die Inhalte der täglichen Krimis überhaupt nichts mit der
Realität zu tun. Morde sind in der Kriminalstatistik das sel-
tenste vorkommende Delikt. Die Zahl bewegt sich so um die
300 aufgeklärte Fälle in Deutschland, allerdings für ein ganzes
Jahr. Soviel verbrauchen die Fernsehkrimi-Macher in einem
Monat! Und was sollen sie dann in den übrigen elf Monaten
zeigen? Heiratschwindler? Geldfälscher? Ladendiebe?
Ein Kriminalpsychologe hat mal den Vorschlag gemacht, man
möge den Krimiautoren so eine Art Deliktquote vorgeben, die
sich an der Zahl und Art der Taten orientiert und so ziemlich
genau die Realität wiedergäbe.
Der Vorschlag wurde ziemlich schnell abgeschmettert. War-
um? Wer will schon dauernd Tatorte mit Bankern sehen …
Der Krimi ist nicht umzubringen
Das Böse zieht die Menschen magisch an. Zwar möchte man davon nicht betrof en sein,
aber es verursacht einen leichten, angenehmen Schauder, wenn man so aus sicherer
Distanz beobachten kann, wie schlecht die Welt ist.